21.1.2015
Porsche führt Kunden aufs Glatteis
In der Mongolei lernen Chinesen das Driften
Der Verstand sagt: bremsen, bremsen, bremsen! Das Walkie-Talkie im Türfach kräht: Gas, Gas, Gas! Gehorsam drückt der Fuß aufs rechte Pedal. Das Auto setzt zum Übersteuern an, eine zarte Gegenlenkbewegung und schon stabiliert es sich. Wir sitzen in einem Porsche Carrera S4 und staunen, wie leicht sich der Heckmotor-Allradler wieder einfangen ließ. Unsere Piste befindet sich auf einem zugefrorenen See und wir sind Teilnehmer eines Porsche-Winterfahrtrainings.
Auf Schnee und Eis klärt jedes Auto schon bei langsamer Fahrt über sein Eigenlenkverhalten auf. Der Fahrer muss nicht zwangsläufig über superschnelle Reflexe verfügen. Winterliche Fahrerlehrgänge bietet nicht nur Porsche an. Im schwedischen Arjeplog gibt es eine hochfrequentierte Teststrecke, auf der sich auch Audi-, BMW- und Mercedes-Kunden tummeln. Porsche lockt seit drei Jahren selbst in China aufs Glatteis. Unweit von Yakeshi, einer 100 000-Einwohner-Stadt in der Inneren Mongolei, richten die Stuttgarter jeden Winter auf dem zugefrorenen Yung Long-See Rund- und Handlingkurse, Kreisbahnen und Slalom-Pisten her. Viele der Teilnehmer erleben dort zum ersten Mal, was Europäer unter Fahrspaß verstehen. Vor allem aber, dass ein Porsche weit mehr als ein Statussymbol sein kann. Von Januar bis Oktober 2014 orderten die Asiaten 36 021 Autos, 18,5 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Drei Prozent waren Carreras. Knapp 30 Prozent der Carrera-Käufer sind unter 30 Jahre alt, auch beim Boxster und Cayman beträgt der Anteil rund ein Drittel. Doch hinsichtlich Sportwagenkultur ist das Reich der Mitte Entwicklungsland.
Die Instruktoren der Kurse haben diese Kultur schon verinnerlicht. Unter ihnen sind Rennfahrer aus asiatischen Porsche-Cup-Serien. Sie führen die Teilnehmer behutsam ans Fahren auf schlüpfigem Untergrund heran und zeigen, dass ein schleuderndes Auto kein verlorenes Auto ist. Man lernt, mit Gas und Bremse zu steuern, gezielt gegen zu lenken und sogar Lastwechselreaktionen zu nutzen. Natürlich endet mancher Versuch so weit neben der Piste, dass nur noch der Abschlepphaken hilft. Aber kaputt gehen kann nichts, denn die Auslaufzonen sind großzügig bemessen.
Können und Fahrspaß wachsen von Sektion zu Sektion. Gefahren wird mit und ohne Stabilitätssystem. Wer einen langen, gleichmäßigen Drift hin bekommt, fühlt sich wie ein Schneekönig. Dann wird das Erlernte umgesetzt. Wer schafft den Slalom-Parcours am schnellsten? Wer schlägt den Gegner beim "Race of Champions", einer Wettfahrt, bei welcher zwei Autos einen Rundkurs gegenläufig fahren? Aus staugeplagten Schrittfahrern werden nun heldenhafte Lenkraddreher, mancher Advokat mutiert zum Driftwinkeladvokat.
Überraschend, wie spielerisch leicht sich ein tonnenschwerer Panamera durch die vereisten Kurven zirkeln lässt, wie vehement ein Mittelmotor-Cayman die lange neutrale Phase verlässt, oder wie eindeutig übersteuernd ein heckgetriebener Carrera am Grenzbereich balanciert. Favorit aller Teilnehmer ist der 4S. Der Carrera mit Allradantrieb scheint selbst für die heikelsten Situationen noch einen Rettungsanker parat zu haben.
Der Zweitageskurs kostet zirka 4 000 Euro. Die Autos werden gestellt. Für den Flug muss man selbst sorgen. Yakeshi erreicht man über Hailar, zweieinhalb Flugstunden nördlich von Peking und nahe der russischen Grenze. Deutsche Teilnehmer sind eigentlich nicht vorgesehen. Aber darüber lässt Porsche sicher mit sich reden.
Holger Glanz, autoplusnews
Fotos: Glanz