DVR: Verkehrsraum der Zukunft
Fehlerverzeihend, selbsterklärend – Schlagworte, mit denen sich Straßenbauingenieure wappnen, wenn es um Straßenführung und -gestaltung geht. Ihr Idealbild sieht Straßen vor, auf denen alle anderen Schuld an Unfällen haben könnten, nicht aber die Straßen selbst.
Die Realität sieht leider anders aus, wie Dr. Detlev Lipphard vom DVR (Deutscher Verkehrssicherheitsrat e. V.) in einem Seminar-Vortrag darstellt. Viele Straßen, Kreuzungen, Einmündungen stellen trotz baulicher Veränderungen ein erhebliches Gefahrenpotenzial dar. Mit gezielten Änderungen wäre es zu entschärfen. Dazu zählen geeignete Aufstellflächen vor Kreuzungen, Sperrlinien zum Einfädeln, Mittelinseln an Ortseingängen, rote Radfahrstreifen, Rüttelstreifen in Kurven, Aufpflasterung an Einmündungen – um nur einige Beispiele zu nennen.
Das heutige Straßennetz wurde in vielen Fällen dem Unfallgeschehen angepasst und bietet weit mehr Sicherheitsreserven als früher. Der Idealzustand ist aber noch lange nicht erreicht, um das Ziel der „Vision Zero“– bis 2020 vierzig Prozent weniger Verkehrstote – zu erreichen. Zur Zeit hat Deutschland etwa 4000 Verkehrstote pro Jahr zu beklagen.
Vision Zero ist eine weltweite Strategie zur Vermeidung tödlicher und schwerer Unfälle im Straßenverkehr. Sie umfasst unter anderem neue Entwurfsklassen zu abgestuften Geschwindigkeiten auf Landstraßen und multimodale Verkehrskonzepte für den urbanen Raum. Auch „Shared Space“, Gemeinschaftsstraßen, ist dabei ein Thema.
Allerdings ist „Shared Space“, so Jörg Ortlepp vom UDV (Unfallforschung der Versicherer), lediglich ein neuer Name für ein bewährtes Prinzip, welches gemeinsame Nutzung öffentlichen Raums durch alle Verkehrsteilnehmer vorsieht. Was in der Theorie wunderbar ineinander greift, wirft laut Ortlepp aber eine Reihe von Problemen auf. Nur eines davon ist die Unklarheit, wie man mit Durchgangsverkehr umzugehen hat. Auch blinde Menschen und solche, die am Asperger Syndrom leiden, kommen damit keinesfalls zurecht. Fazit des UDV-Sprechers: Shared Space würde aus vielen Gründen nicht funktionieren. Als Beweis führt er einen Praxisversuch in dem Ort Bohmte an, in dem nach der Einführung von Shared Space die Unfallzahlen keinesfalls gesunken sind - im Gegenteil.
Für mehr Sicherheit im Straßenverkehr könnte hingegen Verkehrstelematik sorgen, meint Professor. Dr. Fritz Busch von der Technischen Universität München. Wesentliches Element dabei ist die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander und mit einer Verkehrleitzentrale. Ein intelligentes Verkehrsleitsystem wird derzeit im weltweit größten Feldversuch in Hessen in marktnaher Ausführung erprobt. Die Ergebnisse sollen im Sommer 2013 vorliegen. Risiken der neuen Sicherheitssysteme: Ablenkung durch zu viel Technik und Daten, Kompetenzverlust des Fahrers und unter Umständen widersprüchliche Informationen.
Zukünftig ist mit stärkerem und schnellerem Fahrradverkehr zu rechnen. Pedelecs boomen. „Ein schlecher Radwege ist schechte als gar kein Radweg“. Diese Erkenntnis wurde 1997 in die StVO aufgenommen. Radwege, die den Mindestanforderungen nicht genügen und aus Sicherheitsgründen nicht unbedingt erforderlich sind, dürfen darum nicht mehr mit dem blauen Zeichen als benutzungspflichtig gekennzeichnet werden. Fazit: Fahrräder gehören im Regelfall auf die Fahrbahn. Die Praxis sieht aber anders aus. Viele Radfahrer benutzen auch schlechte Radwege, wenn sie vom Autoverkehr getrennt sind. Gute Radwege, Radfahrstreifen oder Schutzstreifen sind für eine Senkung der Unfallzahlen damit unabdingbar.
Problem in unseren Städten ist eine nicht mehr wahrnehmbare Schilderflut. Das Modellprojekt „SimplyCity“ des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen stellt sich dem entgegen. Der Ansatz ist, die Schilderflut von StVO-Verkehrszeichen, Wegweisern, privaten Hinweisen, Info- und Werbetafeln einzudämmen. Auch den ÖPNV-Bereich nimmt SimplyCity ins Visier. Ein Übermaß an Tarifzonen, Ausnahmeregelungen, aber auch schwer bedienbare Fahrscheinautomaten werden zur Diskussion gestellt.
Holger Glanz, Autoplusnews, Foto: GDV
Für mehr Infos:
www.dvr.de